Schulabmeldungen in Österreich 2021

Stellungnahme zum starken Anstieg der Schulabmeldungen in Österreich

Zusammenfassung

Laut Presseberichten steigt die Zahl der Schulabmeldungen in Österreich im Schuljahr 2021/22 von etwa 2.000 auf das Doppelte bis Dreifache an. Es wird angenommen, dass die Gründe dafür die Einschränkungen aufgrund der Corona-Maßnahmen sind. Aus der Sicht von „Freilerner.at – Verein zur Förderung freier und selbstbestimmter Bildung“ sind die Einschränkungen und die daraus resultierenden psychischen und physischen Folgen nur ein Anlass, der viele zu diesem Schritt bewegt. Es ist anzunehmen, dass für die meisten Betroffenen in der Schule schon vorher Einiges nicht gestimmt hat. Die Maßnahmen waren wohl die Tropfen, die das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht haben.

Das reguläre Bildungssystem hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv in Richtung Standardisierung, Leistungsdruck und Erhöhung der Konkurrenz verändert, mit Begleitfolgen wie Mobbing und Gewalt. Es ist an der Zeit, sich ernsthaft mit Bildung als höchst individuellem, selbstgesteuertem Prozess zu beschäftigen. Dies beinhaltet auch die Frage, in welcher Haltung wir den jungen Menschen begegnen. Alte Strukturen und Denkmuster müssen überwunden werden, die Umsetzung neuer Ideen und kreativer Lösungen darf nicht länger behindert werden!

Informationen zum Thema

Der österreichweit tätige Verein „Freilerner.at – Verein zur Förderung freier und selbstbestimmter Bildung“ setzt sich für das Recht auf selbstbestimmte Bildung, für Aufklärung über Adultismus (= Diskriminierung junger Menschen aufgrund ihres Alters) und gegen jede Form von Gewalt ein. Wir stehen für freies, informelles Lernen im eigenen Tempo und nicht für Homeschooling in Form von Beschulung durch Eltern oder Privatlehrer. Wir wissen aus Erfahrung und aus Studien, dass eine respektvolle Begleitung auf Augenhöhe die intrinsische Motivation, den Lernerfolg und eine positive Persönlichkeitsentwicklung fördert. Lernen ist ein höchst individueller, selbstgesteuerter Prozess, der immer vom jeweiligen Menschen ausgeht. Unser Verein ist eine Plattform für Familien, die aufgrund ihrer gleichwertigen und gleichwürdigen Haltung ihren Kindern gegenüber diese Art der Bildung gewählt haben. Wir betreiben keine Lerngruppen oder schulähnlichen Aktivitäten und vermitteln keine Unterrichtsmaterialien oder dergleichen, außer der junge Mensch wünscht das von sich aus.

Die Zahl der Abmeldungen in den häuslichen Unterricht lag in den letzten zehn Jahren relativ stabil bei 2.000 für ganz Österreich. Für das Schuljahr 2020/21 sind uns keine Daten bekannt. Laut Presseberichten sollen für das Schuljahr 2021/22 bereits ca. 3.600 Schulabmeldungen vorliegen, erwartet werden bis zu 6.000. Das wäre eine Verdoppelung bis Verdreifachung des bisherigen Niveaus.

Dieser starke Anstieg zeigt vor allem, dass derzeit für viele in der Schule etwas nicht passt. Die Einschränkungen durch Corona-Maßnahmen (Masken- und Testpflicht, Kontaktbe-schränkungen, das Drängen zur Impfung etc.) und die daraus resultierenden physischen und psychischen Folgen sind für junge Menschen und deren Eltern ein konkreter Anlass für Schulabmeldungen. Die Entscheidung zu diesem Schritt macht sich niemand leicht, die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Es ist anzunehmen, dass für die meisten Betroffenen in der Schule schon vorher Einiges nicht gestimmt hat. Die einschränkenden Maßnahmen waren wohl die Tropfen, die das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht haben.

Das reguläre Bildungssystem hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv in Richtung Standardisierung, Leistungsdruck und Erhöhung der Konkurrenz verändert, mit Begleitfolgen wie Mobbing und Gewalt. Eigene Ideen, die Entwicklung kritischen und vernetzten Denkens, Mitbestimmung, Kooperation und Freundschaften kommen in einem derartigen Klima viel zu kurz. Besonders engagierte Lehrer*innen und Direktor*innen werden von den übergeordneten Schulbehörden klein gehalten und geben schließlich demotiviert wieder auf. Der Anpassungsdruck ist sowohl für Lehrer*innen als auch für Schüler*innen riesengroß.

Wir wünschen allen, die sich für den häuslichen Unterricht entschieden haben, alles Gute! Dieser Schritt kann das Leben verändern und die Lebensqualität für die ganze Familie deutlich erhöhen. Die Rahmenbedingungen dafür müssen aber erfüllt sein, d.h. dass eine respektvolle Begleitung und ausreichend Zeit gegeben sein müssen.

Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass die Schulbehörden den jungen Menschen diesen Weg, der verfassungsrechtlich ohne Einschränkungen garantiert ist, nicht gerade einfach machen:

  • Die Zahl der Schulen für Externistenprüfungen wird stark eingeschränkt, obwohl laut Schulpflichtgesetz alle Schulen mit Öffentlichkeitsrecht (auch Privatschulen) prüfen dürften.
  • Bei Externistenprüfungen sind keine Wiederholungen zugelassen, obwohl das laut Externistenprüfungsverordnung sehr wohl möglich sein sollte.
  • Abmeldungen zum häuslichen Unterricht werden ohne ausreichende Begründung nicht akzeptiert, obwohl dafür gar keine Bewilligung notwendig wäre. Es handelt sich dabei nicht um einen Antrag sondern um eine Meldung. Nur in begründeten Ausnahmefällen darf der häusliche Unterricht abgelehnt werden. Bei neuen Abmeldungen sind solche Ausnahmegründe jedoch nicht gegeben.

Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Dazu kommt, dass die Vorgangsweise von Bundesland zu Bundesland uneinheitlich ist und oft auch innerhalb der Dienststellen der Bildungsdirektionen keine klaren Linien erkennbar sind. Falsche oder unvollständige Auskünfte bei Anfragen sind an der Tagesordnung, die gesetzlichen Bestimmungen sind vielen Mitarbeiter*innen nicht zur Gänze bekannt.

Zur besonderen Situation der Freilerner*innen in Österreich:

Schätzungen zufolge sind es etwa 10% der jungen Menschen im häuslichen Unterricht, die sich für freies Lernen ohne Lehrplan oder Unterricht entschieden haben. Begeisterung, Kreativität, Selbstvertrauen und Ausdauer werden durch diese Art der Bildung gefördert. In Österreich ist das ungewohnt und unbekannt, es gibt damit aber schon viele Erfahrungen in anderen Ländern. In Großbritannien ist dieser Weg völlig legal und ohne verpflichtende Prüfungen möglich. In Österreich müssen hingegen jährliche Prüfungen nach öffentlichem Lehrplan abgelegt werden, was in vielen Fällen die Lernprozesse blockiert. Der Erziehungswissenschaftler Univ. Prof. Dr. Karl Garnitschnig schreibt dazu:
Es ist innerhalb der Erziehungswissenschaft eine Binsenweisheit, dass die Leistungsfeststellung und -beurteilung der Art und Weise entsprechen müsste, wie gelernt wurde. Es ist daher der Maßstab für die Leistungsbeurteilung auch bei den Freilernern entsprechend ihrem Lernen zu gestalten. Es wäre jedenfalls eine strukturelle Gewalt am Kind, wenn man die sg. Externistenprüfung wie in Schulen durchführte. Es wäre eine primitive Form der Anwendung des Schulgesetzes.“

Wir versuchen seit Jahren, mit dem Bildungsministerium, den Bildungssprechern der im Parlament vertretenen Parteien und den Bildungsdirektionen ins Gespräch zu kommen, um eine Verbesserung unserer Situation zu erreichen. Wir haben ein Positionspapier „Alternativen zur Externistenprüfung“ verfasst, in dem unser Modell „Prozessorientierte Begleitung informeller Bildungswege (ProBiB)“ vorgestellt wird:

Positionspapier

Freilernen ist wie Homeschooling wissenschaftlich fundiert und gut untersucht. Die Ergebnisse sprechen eindeutig für diese Bildungswege. Die Studien zeigen, im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, übereinstimmend erhebliche Leistungsvorteile von außerschulisch sich Bildenden gegenüber Regelschülern, und zwar in allen gemessenen Kompetenzen! Auch hinsichtlich der Sozialkompetenzen zeigen die Untersuchungen signifikant bessere Ergebnisse. Hier wurden überdurchschnittliche Werte für emotionale Intelligenz, Empathie, Verant-wortungsbewusstsein, soziale Problemlösungskompetenz, Flexibilität und Beziehungsqualität festgestellt.

Zahlreiche Publikationen und Artikel finden Sie hier: Fakten

Schlussfolgerungen

Die aktuelle Situation zeigt, dass etwas Grundlegendes im Bildungssystem nicht stimmt. Anstatt mit Drohungen und Strafen zu reagieren, wäre es angebracht, das Gespräch zu suchen, neue Wege zuzulassen und lösungsorientiert zu handeln. Die Politik der Symptombekämpfung hat ihre Grenzen, wir müssen endlich die Ursachen der Probleme erkennen.

Es ist an der Zeit, sich ernsthaft mit Bildung als höchst individuellem, selbstgesteuertem Prozess zu beschäftigen. Dies beinhaltet auch die Frage, in welcher Haltung wir den jungen Menschen begegnen. Alte Strukturen und Denkmuster müssen überwunden werden, die Umsetzung neuer Ideen und kreativer Lösungen darf nicht länger behindert werden!